Norbert Bertelsbeck
Sozialwissenschaftliche Erklärung der Judenvernichtung
Als Angehöriger einer Generation, die einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in dem demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland geboren wurde, mit einem Grundgesetz, das besonders die Würde des Menschen hervorhebt, ist es bedrückend zu wissen, dass ein zwischen 1933-1945 existierender deutscher Staat, unter einer nationalsozialistischen Diktatur, für die Tötung von 6 Millionen Juden verantwortlich ist. Das Völkerrecht spricht in diesem Zusammenhang von Völkermord.
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Wenngleich es wichtig ist, dass das vorliegende geschichtliche Ereignis in unserer Gesellschaft über verschiedene Formen des Gedenkens und der Wissensübertragung auf nachfolgende Generationen wachgehalten wird, hat die empirische Wissenschaft die Aufgabe, Sachverhalte zu erklären, im vorliegenden Fall die des Massenmords.
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Zu unterscheiden ist dabei der Sachverhalt, dass auf staatlicher Ebene zunächst eine grundsätzliche Entscheidung für die Judenvernichtung getroffen worden ist, von dem der Umsetzung dieser Entscheidung.
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…soll mittels einer Handlungstheorie erklärt werden, welche spezifischen Motivationen, unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Situation, bei einzelnen Personen (möglicherweise) vorgelegen haben bei der Umsetzung der grundlegenden Entscheidung. Eine derartige Realisierung soll sich dabei nicht nur auf die Ausführung der Massenmorde, sondern auch auf die sogenannten "Vorarbeiten" beziehen, ohne die die Judenvernichtung nicht möglich gewesen wäre.
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Die Prozessbeschreibung macht deutlich, dass Personen an unterschiedlichen Orten und Zeiten ihren Beitrag zur Judenvernichtung geleistet haben und dass Personen in einer unterschiedlichen Weise an der Judenvernichtung beteiligt waren. Zu unterscheiden ist dabei eine mittelbare von einer unmittelbaren Gewaltausübung
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Das Außerkraftsetzen von aggressionshemmenden Faktoren
• Als aggressionshemmende Sachverhalte sind zunächst solche zu benennen, die aggressives Handeln bestrafen. Im Falle der systematischen Judenvernichtung im NS-Staat wurde die systematische Tötung von Juden nicht nur nicht unter Strafe gestellt, sondern der Staat ermutigte (belohnte) Personen (dafür), massenhafte Tötungen systematisch an Juden zu begehen, quasi im Sinne einer beruflichen Ausübung.